Gehirnerschütterungen werden heute nicht mehr mit wochenlanger Schonung und Bettruhe behandelt. Im Gegenteil: Die moderne Wissenschaft zeigt, dass frühe, gezielte Aktivierung die Genesung entscheidend fördern kann. In einem aktuellen Fachartikel, veröffentlicht in der renommierten Thieme sportphysio-Zeitschrift, fasst Erstautorin Maya Reinhard gemeinsam mit dem BrainCare-Team diesen Paradigmenwechsel kompakt und praxisnah zusammen.
Frühe Aktivierung statt Passivität
Entscheidend für eine rasche Erholung ist eine symptomadaptierte körperliche und kognitive Aktivierung – bereits ab 24 bis 48 Stunden nach dem Ereignis. Voraussetzung: Die Beschwerden bewegen sich unter einem Schwellenwert von 7/10. Studien zeigen, dass eine angepasste Belastung nicht nur die Genesung fördert, sondern auch das Risiko einer autonomen Fehlregulation (Dysautonomie) senkt.
Einheitliche Diagnostik-Standards für Klinik und Praxis
Mit SCAT6™ (für die ersten 72 Stunden) und SCOAT6™ (ab dem dritten Tag) stehen standardisierte Tools zur Verfügung, die eine strukturierte und vergleichbare Einschätzung der Symptome ermöglichen. Beide Tools sind frei über die BrainCare-Website zugänglich. Bei Warnzeichen („Orange Flags“) oder anhaltenden Beschwerden sollte jedoch eine weiterführende Abklärung durch ein spezialisiertes Zentrum erfolgen.
Strukturierter Wiedereinstieg in Schule, Sport und Alltag
Das sogenannte RTS/RTL-Schema („Return to School / Return to Life“) beschreibt den stufenweisen und kontrollierten Weg zurück in den schulischen und sportlichen Alltag. Dabei wird bewusst toleriert, dass leichte und kurzfristige Symptomsteigerungen auftreten können, solange diese eng begleitet und dokumentiert werden.
Der Buffalo Concussion Bike Test als objektives Tool
Ein häufig übersehener Aspekt ist die autonome Regulation. Hier liefert der Buffalo Concussion Bike Test ein praxistaugliches Protokoll, um autonome Dysfunktionen frühzeitig zu identifizieren. Diese können ansonsten unbemerkt bleiben und den Heilungsverlauf deutlich verlangsamen.
Multimodale, individuelle Therapieansätze
Besonders bei länger anhaltenden Beschwerden (über vier Wochen) hat sich ein multimodaler Therapieansatz bewährt. Das bedeutet: gezielte Interventionen, die auf die individuellen Defizite des betroffenen Systems abgestimmt sind – sei es zervikal, vestibulär, visuell, neurokognitiv, autonom oder im Bereich von Kopfschmerzsyndromen. Eine effektive Rehabilitation erfordert hier ein spezialisiertes Team und ein dynamisch angepasstes Behandlungskonzept.
Was lässt dies für ein Fazit zu? Concussion-Management ist heute evidenzbasiert, aktiv und interdisziplinär. Die Erkenntnisse des BrainCare-Teams liefern wichtige Impulse für Fachpersonen in Sportmedizin, Rehabilitation, Pädiatrie und Neurologie, aber auch für Betroffene und ihre Angehörigen.
Ein besonderer Dank geht an Maya Reinhard, Miryam Leyrer, Natalia Belotti, Nina Feddermann-Demont und das gesamte BrainCare-Team für diese richtungsweisende Arbeit. Ebenso danken wir Johannes Ermel und dem Thieme Verlag für die professionelle Zusammenarbeit und Veröffentlichung.